Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
CÄSAR – Fantreffen Torgau 2021 05.06.2021 Die Formulierung fühlt sich abgedroschen an, dennoch passt sie: wir sind in den vergangenen zwanzig Jahren in die Jahre gekommen. Während wir erschrocken feststellen, wie viele befreundete und gute Musikanten inzwischen nie wieder eine Live-Bühne betreten werden, wandeln auch wir mit grauweißer Haarpracht und leichten Verformungen an Körper und Gesicht durch die Gegend. Während der Geist mir noch glühende Jugend attestiert, weigert sich der Spiegel morgens, sie mir zu bestätigen. Seitdem rasiere ich mich nicht mehr und fühle mich jung. Ich genieße jeden neuen Tag als Rock-Rentner, höre meine Lieblingsmusik und fahre heute endlich wieder aus der Stadt heraus. Nicht in den Harz hinüber, zum Wandern, sondern der „Entenfang“ in Torgau und das Treffen von Freunden ist mein Ziel. Über ein Jahr „Touchdown“, ein langes Jahr mit Ein- und Beschränkungen. Die Kulturbranche riss es abwärts, der riesige Koloss hatte mehrfach Grundberührung. Keine Konzerte und also keine Freunde, mit denen man sie hätte erleben können. Wir hatten viel Glück, als wir uns im Sommer 2020 dennoch trafen, tanzten, sangen und glücklich feierten. Für viele war es auch die letzte Begegnung mit Kundi, dem fleißigen Muggenpilgerer, Schreiberling und Dauerknipser. Dieses vergangene Jahr war hart, sehr hart, aber es gibt uns noch, nur eben leicht verändert – siehe oben. Die dunkle Wolkenwand über dem Harz haben wir im Rückspiegel gelassen, als wir ankommen. Es ist beinahe wie immer: Wiese, hohes Gras, Bäume, dazwischen einige Autos und Zelte. Vergessen scheint die Pandemie. Vor dem Gebäude der Gaststätte stehen Tische und Klappstühle, so wie immer und wie immer sitzen dort schon einige bei Kaffee und Kuchen some procedure as every year Normalität. Doch die glorreichen Siebzig sind im Laufe einer Dekade, und nach CÄSAR’s Tod, zu einem reichlichen Dutzend geschrumpft. Dies hier ist der harte, trotzige, unverwüstliche Kern, der sich inzwischen selbst würdigt und feiert sowie dabei an CÄSAR denkt. Wenn es jedoch ums Erinnern geht, dann kramen die Fans in ihren Mottenkisten und holen Erlebnisse mit Klaus Renft, Monokel, der Stern Combo Meissen oder Gundi heraus. Aber auch die Stones, Paul McCartney, Jethro Tull oder Black Sabbath gehören zu unserer klingenden Erlebniswelt. Und wir denken gern an jene aus unserer Runde, die schon zu früh vorausgehen mussten. Inmitten ausgelassener Freude und Heiterkeit gehört das zur Grundstimmung dieser Nachmittage in Torgau. Auch heute. Wir sitzen im Freien vor der Gaststätte. Kauend und quasselnd lächeln wir die Vorboten der dunklen Wolken beiseite. Wer hier zufällig spazieren geht, bekommt unser herzliches Lachen auf seine Ohren und mancher bleibt einfach stehen, schaut, wundert sich oder wir kommen ins Gespräch. Es ist diese ungekünstelte Ungezwungenheit, die mich von der ersten Stunde an fasziniert hat, kein Protokoll und keine Redezeit. Nur, dass nach dem Kaffee das erste Bier getrunken wird, hat sich einge“bürgert“ und wer es mag, auch das Getränk mit Knoblauch aus dem Keller. Gerade pünktlich zum Bierchen trudeln auch Carsten Große (ex Babylon, Metropol & Speiche’s Monokel) und Burkhard Kühn (ein ehemaliger Cäsar-Begleiter), ein. Die beiden Musiker bilden auch den Kern der Band Blank. Nach langen Monaten der Enthaltsamkeit wollen beide mit uns wieder Live-Erfahrungen ausprobieren. Wie schön! Als zum ersten Mal Regentropfen drohen, die Getränke zu verdünnen, wird’s unter den Schirmen eng und kuschelig. Dies ist der regel(n)mäßige Gruß von Cäsar, der sicher auf uns herab schaut. Schon oft schickte uns der Himmel feuchte und nasse Grüße. Auch diesmal ist es wieder so. Kein Problem, auf nassen Tischen kann man Gläser auch abstellen, denn schon bald hat sich der Schauer verzogen. Da haben Burkhard und Carsten ihre Gitarren bereits ausgepackt. Aus den Saiten klingt es „Here Comes The Sun“ und danach singen wir gemeinsam ein „Liebeslied (bleich und uferlos)“ und gestehen „Lieb’ ein Mädchen mit Sonne im Gesicht“. Wir sind ganz und gar unter uns, weit weg von all den Themen, die uns aufgedrängelt oder untergeschoben wurden. Wir sind schon groß, erwachsen sowie erfahren. Das Denken hat uns das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen gelehrt. Ich brauche keine Plakate an Straßenlaternen, denn „zwischen Liebe und Zorn reift der Mensch“ und nicht an der Glotze! Deshalb kann ich auch den Text von „Wer die Rose ehrt“ und vom „СЛАВНОЕ МОРЕ, СВЯЩЕННЫЙ БАЙКАЛ“ immer noch auswendig mitsingen. Bei letzterem staunt sogar eine rothaarige Dame. Endlich duftet es im Entenfang. Der verführerische Rauch eines Holzkohlegrills trägt den Duft frischer Bratwürste und Steaks über das Areal. Schluss mit Musike, jetzt wird erst einmal genüsslich gemampft! Ich liebe Bratwurst und ich liebe das berühmte „Bratwurstlied“ von Bernd Dewet, das es nirgends zu ergattern gibt. Die Bratwurst lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Sie gehört zum Entenfang-Ritual, so wie das Singen von Liedern oder das andächtige Lauschen, wenn sie erklingen. In diesen Minuten weiß ich, dass hier gerade die erste hautnahe Nach- Corona-Mugge abläuft. Zwei Akustik-Gitarren und viele Stimmen unter offenem Himmel mit Freunden sowie einem Bier in der Hand. Deshalb bin ich hier und genieße die aufziehende Abenddämmerung. Karli rückt mit der heiligen Feuerschale an und schon Minuten später steigen knisternd Funken in den Abendhimmel Gruß zurück an Cäsar, Kundi und zu unserer Lily – „Abendstunde, stille Stunded“ … In diese Stimmung hinein erklingt die „Rose“, Annette zaubert den „Blackbird“ in ihre Saiten und alle singen ein wenig „Yesterday (all my troubles seemed so far away)“. Das Feuer taucht die Szenerie in warmes Licht und wenn uns jetzt eine Hexe auf ihrem Besen besuchen würde, wäre es kein Wunder. Das Feuer wärmt und lässt den Gedanken viel Raum, sich zu entfalten und Wünsche zu erträumen. Davon gibt es viele, aber der nach Gesundheit und Leben in Frieden überragt sie alle. Ich setze mich noch einmal vor das Duo Große & Kühn und lausche den gewünschten Klängen von „Oh Well“ (1969), einer meiner großen Favoriten, aus jenen Tagen, als ich jung war und andere Träume mich trieben. Mehr als fünf Dekaden später haben sich einige erfüllt, andere sind erwacht und einige blieben leider unerfüllt. Es ist schön, sich alle Jahre wieder in dieser Runde zu treffen. Als die Akkorde vom „Horse With No Name“ erklingt, weiß ich, dass es an der Zeit ist, zurück „über die (Beton)Wüste“ zu reiten, den Bergen entgegen, die Zuhause geworden sind: „Freunde geht, das Fest ist aus, es war schön mit Euch“. Als wir wieder auf der Piste sind, in den Regen hinein fahren, da weiß ich: Im Entenfang werden noch lange Lieder gesungen, ehe man glücklich in die Zelte kriechen wird. Gute Nacht und bis denne, wenn wir ein Wiedersehen feiern, uns zum Vergnügen und die „Rose“ zu ehren.